Für deutsche Unternehmen ist die aktuelle Zeit geprägt von großen Herausforderungen und Unsicherheiten. Die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie auch das rechtliche Umfeld, in dem die deutsche Wirtschaft operiert, verändern sich dynamisch – die Komplexität und die Notwendigkeit belastbarer Lösungen nehmen vielfach eher zu als ab. Dies gilt nicht zuletzt vor dem Hintergrund neuer und häufig einschneidender politischer Prozesse. Zugleich unterliegen Vorstände und Aufsichtsräte der Legalitätspflicht, nach der die Organe verpflichtet sind, die geltenden Gesetze und Rechtsvorschriften einzuhalten. Besonders anspruchsvoll wird es, wenn deutsches und ausländisches Recht im Konflikt stehen.
1. Legalitätspflicht
Nach deutschem Aktienrecht haben Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AktG). Für Aufsichtsratsmitglieder gilt dieser Maßstab entsprechend (§ 116 Satz 1 AktG). Teil der Sorgfaltspflicht ist die Legalitätspflicht, nach der sich die Vorstandsmitglieder rechtstreu verhalten müssen. Die bedeutet zum einem, dass diese die im Gesetzrecht, insbesondere im Aktiengesetz, sowie in Satzung und Geschäftsordnung für den Vorstand festgelegten Pflichten zu beachten und zu erfüllen haben. Darüber hinaus muss der Vorstand die für die Gesellschaft einschlägigen rechtlichen Bestimmungen einhalten. Für den Aufsichtsrat von zentraler Bedeutung ist die Legalitätsüberwachungs- oder -kontrollpflicht, da dieser das Vorstandshandeln auch auf seine Rechtmäßigkeit kontrollieren muss.
Von der Legalitätspflicht zu trennen ist die Business Judgement Rule. Diese erfasst nach Maßgabe von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nur unternehmerischen Entscheidungen, bei denen eine Pflichtverletzung des Vorstands ausscheidet, wenn dieser vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Unternehmerische Entscheidung zeichnen sich gerade durch einen Ermessensspielraum aus, den der Vorstand für sich in Anspruch nehmen kann. Hierzu gehören etwa Entscheidungen über die Erschließung neuer Märkte, den Vertrieb neuartiger Produkte und den Erwerb anderer Unternehmen. Dieses Ermessen besteht indes nur im Rahmen des geltenden Rechts, wodurch Legalitätspflicht und Business Judgement Rule wieder zueinanderfinden. Andererseits erkennt im strafrechtlichen Kontext der BGH eine vielfach diskutierte „Legal Judgement Rule“ bei unklarer Rechtslage nicht an.
2. Relevanz ausländischer Rechtsordnungen
Die Legalitätspflicht beschränkt sich nicht auf das inländische Recht, sondern erfasst auch die Befolgung von Bestimmungen ausländischen Rechts, soweit diese auf die Gesellschaft anwendbar sind, was sich insbesondere nach den Regeln des Internationalen Privatrechts und dem öffentlich-rechtlichen Kollisionsrecht richtet. Gerichtlich entschieden wurde dies in dem sog. „Siemens/Neubürger”-Urteil des LG München I aus dem Jahr 2013. Das Gericht nahm eine Schadensersatzpflicht eines ehemaligen Vorstandsmitglieds an, da das Compliance-System des Unternehmens grenzüberschreitende Schmiergeldzahlungen nicht verhindert hatte. Vielmehr müsse sich der Vorstand über die örtlichen Regeln informieren und diese befolgen.
Insoweit gilt die Pflicht zur Einhaltung ausländischer Rechtsnormen nur soweit das Unternehmen in der betreffenden Jurisdiktion auch operativ tätig ist. Darüber hinaus können sich allenfalls mittelbare Effekte ergeben, etwa wenn im Ausland ansässige Kunden oder Lieferanten eines deutschen Unternehmens aufgrund der dort geltenden Rechtslage von dem Unternehmen Abstand nehmen. Hier ist dann – wiederum im Einklang mit der deutschen Rechtsordnung – das unternehmerische Ermessen des Vorstands eröffnet, bei dessen Ausübung ggf. wirtschaftliche Erwägungen eine zentrale Rolle spielen können.
3. Konflikte zwischen deutschem und ausländischem Recht
Aus rechtlicher Sicht vergleichsweise unproblematisch sind Fälle, in denen deutsches und ausländisches Recht störungsfrei nebeneinander stehen. Zwar mag es auch dann Konstellationen geben, in denen ausländische Bestimmungen durch die „deutsche Brille“ gesehen kritisch erscheinen – man denke etwa an Arbeitsschutzbestimmungen mit geringerem Niveau. Doch betreffen die relevanten Fragen weniger die Legalitätspflicht, sondern eher das aus der Sorgfaltspflicht abgeleitete Gebot des Vorstands, die Unternehmensreputation zu schützen.
Komplexer sind Situationen, in denen sich die gleichzeitige Anwendung des deutschen und des ausländischen Rechts ausschließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die betreffenden Bestimmungen nicht ausschließlich an die jeweiligen ausländischen Tochtergesellschaften, sondern an die deutsche Konzernspitze richten und damit – wie häufig etwa beim US-amerikanischen Recht – extraterritoriale Wirkung entfalten. So erscheint beispielhaft denkbar, dass die Regierung eines ausländischen Staats in dem Bestreben, geschlechtsspezifische Personalentscheidungen zu beenden, Unternehmen, die an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen wollen, untersagt, Zielgrößen für weibliche bzw. männliche Organmitglieder oder Führungskräfte aufzustellen. Die Pflicht zur Etablierung solcher Zielgrößen für Frauen ergibt sich nach deutschem Recht bei börsennotierten oder der Mitbestimmung unterliegenden Unternehmen aber aus § 76 Abs. 4 AktG für den Vorstand und aus § 111 Abs. 5 AktG für den Aufsichtsrat. Da nach dem o.g. Beispielsfall die Festlegung jedweder Zielgrößen untersagt ist, stellt die Festlegung der ohnehin kontroversen „Zielgröße Null“ keinen Ausweg dar. Sofern die ausländische Regelung auf das deutsche Unternehmen anwendbar ist, können Vorstand und Aufsichtsrat nicht beiden Rechtsordnungen entsprechen, da diese in einem Exklusivitätsverhältnis stehen.
4. Die Bewältigung widerstreitender Rechtsordnungen
4.1 Umfassende Prüfung der Rechtslage
In einer solchen Situation bzw. sofern sich ein solcher Konflikt abzeichnet, sollte der Vorstand zunächst die geltende Rechtslage grundlegend und umfassend prüfen lassen. Dabei genügt aus den Medien erworbenes Wissen nicht, um ein solides Ergebnis zu erzielen. Vielfach wird dort die Rechtslage verkürzt oder unzutreffend dargestellt. Sollte ein belastbares rechtliches Urteil nicht mit eigenem Personal zu erzielen sein, was insbesondere bei Auslandssachverhalten keine Seltenheit sein dürfte, ist die Hinzuziehung von Experten geboten. Möglicherweise lässt sich ein vermeintlicher Widerspruch zwischen den Rechtsordnungen bereits in dieser Phase klären.
4.2 Einlegen von Rechtsmitteln
Ebenso denkbar erscheint die Option, auf Grundlage der rechtlichen Würdigung gegen Verwaltungsakte ausländischer Behörden Rechtsmittel einzulegen. In Betracht kommen hier auch Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Erfahrungen insbesondere mit der neuen US-Regierung haben gezeigt, dass gerichtlicher Rechtschutz vielfach Aussicht auf Erfolg hatte.
4.3 Abstimmung mit den zuständigen Behörden
Sollten diese Maßnahmen zumindest vorerst keine Klärung herbeiführen, sollte der Vorstand mit den zuständigen Behörden in Deutschland und dem betreffenden Ausland Kontakt aufnehmen und versuchen, auf dieser Ebene unter Hinweis auf die konfligierende Rechtslage Lösungen zu erarbeiten. Auch hier zeigt die Erfahrung, dass Behörden im Rahmen des ihnen eingeräumten Ermessens vielfach flexibler entscheiden (können), als es zunächst scheinen mag. Voraussetzung hierfür ist indes regelmäßig ein hinreichend kooperatives und transparentes Vorgehen der Beteiligten.
4.4 Entscheidung, welcher Rechtsordnung entsprochen werden soll
Wenn auch diese Maßnahmen keinen Erfolg haben, muss der Vorstand entscheiden, welcher der beiden Rechtsordnungen das Unternehmen entsprechen soll. In diesem Zusammenhang wurde verschiedene Lösungsansätze entwickelt, insbesondere:
- Ausnahmsloser Vorrang des deutschen Rechts vor dem ausländischen Recht;
- Vorrang des deutschen Rechts, soweit Grundwertungen der deutschen Rechtsordnung (sog. Ordre Public) dem ausländischen Recht entgegenstehen;
- Zulässigkeit der Berücksichtigung von Ermessensspielräumen bei der Befolgung ausländischen Rechts.
Inwieweit diese Ansätze tatsächlich konkrete Lösungen der Konflikte mit ausländischen Institutionen herbeiführen können, darf allerdings bezweifelt werden, da ausländische Behörden und Gerichte vielfach ihrer eigenen Rechtsordnung Vorrang gegenüber dem deutschen Recht einräumen werden. Dies dürfte häufig eine Frage des Einzelfalls sein.
Aus aktienrechtlicher Sicht besteht indes ein dringendes Interesse, die Pflichtenkollision sachgerecht zu lösen. In diesem Rahmen sollte der Vorstand nach den Grundsätzen der Business Judgement Rule vorgehen und eine hinreichende Entscheidungsgrundlage schaffen, die insbesondere die Lösungsansätze der Literatur wie auch mögliche Konsequenzen der jeweiligen Pflichtverstöße in den Blick nimmt. Denkbar sind hier insbesondere Bußgelder, strafrechtliche Konsequenzen, Schadensersatzforderungen (im Ausland möglicherweise auch von Dritten), Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und Reputationsschäden. Relevant dürfte aber etwa auch operative Punkte wie die geografische Ausrichtung der Geschäftstätigkeit sein und damit die Bedeutung des betreffenden Auslandsmarkts – und damit ggf. auch der Sanktionen, die nur dort greifen – für das Unternehmen. Gelangt der Vorstand auf dieser Grundlage zu einer nachvollziehbaren, schlüssigen Entscheidung, dürfte zumindest ein aktienrechtlicher Pflichtenverstoß ausscheiden. Zugleich können die entsprechenden Aspekte etwa im Rahmen einer Bußgeldbemessung oder einer Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen relevant sein, weswegen zumindest geprüft werden sollte, hier die Abstimmung mit den zuständigen Behörden zu suchen. Entsprechendes gilt für die Durchführung eines Settlement-Verfahrens mit den Behörden.
Die beschriebene Vorgehensweise mitsamt der Prüfung durch den Vorstand kann im Einzelfall komplex sein, so dass streitig sein kann, ob die Grundsätze der Business Judgement Rule hinreichend berücksichtigt wurden. Aus Sicht des Aufsichtsrats ist dementsprechend auch die Frage in den Blick zu nehmen, ob er gehalten ist, die verantwortlichen Vorstandsmitglieder in Regress zu nehmen, sofern das Unternehmen Bußgelder zahlen muss. In diesem Zusammenhang sollte die Entwicklung des Vorabentscheidungsersuchens des BGH an den EuGH zu der bislang in Literatur und Rechtsprechung umstrittenen Frage der persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern für Geldbußen eines Unternehmens beobachtet werden. Eine ähnlich gelagerte Thematik kann sich auch bei anderen Schäden der Gesellschaft stellen. Im Rahmen einer zeitgerechten – und möglicherweise schlichtweg pflichtgemäßen – Corporate Governance kann es angezeigt sein, mit dem Vorstand unter Federführung des/der Aufsichtsratsvorsitzenden bereits während eines laufenden Prozesses einen engen Dialog zu führen und diesem beratend zur Seite zu stehen. Aus der Perspektive des Vorstands kann demgegenüber eine frühe und umfassende Einbindung des Aufsichtsrats wichtig sein.
5. Ausblick
Bislang hatten die Gerichte soweit ersichtlich keine Gelegenheit, sich mit der Konkretisierung der Legalitätspflicht im Spannungsverhältnis zwischen in- und ausländischer Rechtsordnung eingehender auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund bestehen nur die von der Literatur erarbeiteten Leitlinien. Zugleich steht zu erwarten, dass es künftig häufiger zu Konflikten kommen kann, wenn die Paradigmen in den einzelnen Volkswirtschaften und Jurisdiktionen auseinanderdriften oder zunehmend protektionistisch ausgestaltet werden. Vorstände und Aufsichtsräte sollten sich abzeichnende Konfliktpotentiale aktiv im Auge behalten, um entsprechende Risiken möglichst gering zu halten und Schäden für das Unternehmen oder Führungskräfte präventiv zu verhindern. Da dies gerade bei den neuerdings sehr „schlanken“ Gesetzgebungsprozessen in den USA anspruchsvoll sein kann, kann die Beobachtung möglicher Präzedenzfälle hilfreich sein. Einen wichtigen Beitrag können die Überprüfung und Anpassung der Compliance- und Risiko-Management Systeme leisten. Sollte sich ein Konflikt materialisieren, können die hier beschriebene Ansätze als Richtschnur für einen sachgerechten Umgang im wohlverstandenen Unternehmensinteresse dienen.